Reporter Reisen: Herr Olters stimmt es, dass das Projekt eines neuen Kohlekraftwerkes in Kosovo mittlerweile das umstrittenste innerhalb der Weltbank ist?
Jan-Peter Olters: Zumindest kennt es jeder. Es ist eines der umstrittensten.
RR: Die Weltbank hat angekündigt, die Investitionen in neue Kohlekraftwerke zu reduzieren. Warum braucht Kosovo ein neues Kohlekraftwerk?
Olters: Es geht nicht um ein neues, zusätzliches Kraftwerk, sondern darum, „Kosovo A“ so schnell wie möglich stillzulegen und durch ein modernes Kraftwerk zu ersetzen. „Kosovo A“ ist ein uraltes, fragiles und höchst ineffizientes Kraftwerk, das selbst mit den neuen Filtern sehr hohe Umweltbelastungen verursacht.
RR: Wäre es nicht nachhaltiger, auf Alternativen zu setzen, um die Abhängigkeit des Landes von der Kohleenergie zu reduzieren?
Olters: Wir haben uns gefragt: Gibt es Möglichkeiten, „Kosovo A“ abzuschalten, ohne ein neues Kraftwerk zu bauen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Energiesicherheit – die es zurzeit nicht gibt – gewährleistet wird, dass Haushalte und Firmen die Energiepreise bezahlen können und dass die Einflüsse auf die Umwelt und die Lebensverhältnisse der Menschen minimiert werden? Wir würden diese Frage unheimlich gerne positiv beantworten. In der Weltbank gibt es keine Freunde der Kohle-Technologie.
RR: Und?
Olters: In unserer Optionsstudie kam leider heraus, dass es in dieser Situation keine Alternativen in der nötigen Größenordnung gibt. Man kann die Lücke nicht schließen, ohne „Kosovo A“, das älteste und schmutzigste der zwei Kraftwerke, die derzeit 97 Prozent der einheimischen Elektrizität produzieren, durch ein wesentlich moderneres zu ersetzen, eines, das alle EU-Umweltstandards erfüllt und auch innerhalb der EU gebaut werden könnte. Ist es perfekt? Definitiv nicht, aber von allen schlechten und katastrophalen Möglichkeiten ist dies eine, die noch relativ günstig ist. Glücklich sind wir damit nicht. Es ist ein Kompromiss.
RR: In einer Studie der Berkeley University aus dem Jahr 2012 behauptet Daniel Kammen, der ehemalige „Zar der erneuerbaren Energien“ der Weltbank, genau das Gegenteil: Durch mehr Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien würde man sogar mehr Arbeitsplätze schaffen.
Olters: Es stimmt, dass die Weltbank grundsätzlich kein großer Verfechter der Kohleenergie ist, aber es stimmt eben auch, dass Kosovo eine Ausnahme ist. Obwohl es kein großes Land ist, hat es die fünftgrößten Braunkohlereserven der Welt. Es wird geschätzt, dass mindestens 10,9 Milliarden Tonnen abbaubar sind, was hieße, dass beim derzeitigen Konsum genügend Kohle für die nächsten 1500 Jahren da wäre. Gleichzeitig sind die Voraussetzungen für die Erzeugung von Wind- und Wasserkraftenergie ungünstig.
RR: Heißt das, die Weltbank wird das Projekt eines neuen Kohlekraftwerkes mit einer „Partial Risk Guarantee“ in Höhe von 58 Millionen Dollar unterstützen?
Olters: Die Entscheidung liegt beim Exekutivdirektorium. Wenn das Ausschreibungsverfahren erfolgreich ist und die Ergebnisse unserer Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudie positiv sind, werden wir das Projekt von unserer Seite dem Direktorium vorschlagen.
RR: Wann wird das Exekutivdirektorium eine Entscheidung treffen?
Olters: Das könnte Mitte 2015 passieren. Das neue Kraftwerk ist aber nur ein Puzzleteil. Es geht nicht darum, entweder das neue Kohlekraftwerk oder regenerative Energien zu unterstützen, es müssen immer beide betrachtet werden. Dabei ist auch Energieeffizienz ein sehr wichtiges Thema. Knapp die Hälfte der Energie wird verbraucht, um Wohnungen und Büros zu heizen. Im Juni dieses Jahres hat das Exekutivdirektorium einem Projekt in Höhe von 31 Millionen Dollar zugestimmt, das Energieeffizienz und alternative Energien zu fördern hilft. Ein weiteres Projekt, das die Weltbank finanziert hat, hat dazu beigetragen, dass nach fünfzig Jahren die Praxis der offenen Aschendeponien aufhört. Es wurde ein Pipeline-System installiert, dass die Asche mit Wasser mischt und in eine alte Mine pumpt.
RR: In einer neuen Studie schreibt der Präsident des „International Network on Displacement and Resettlement“, Ted Downing, dass die Vorbereitungen für die Umsiedlungsmaßnahmen nicht im Einklang mit internationalen Standards sind. Wie wollen Sie sicherstellen, dass nicht wieder – wie 2004 und 2005 - Spezialeinheiten der Polizei die Einwohner aus ihren Häusern tragen?
Olters: Die Weltbank war zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht involviert. Allen, der Regierung, der Opposition, der Zivilgesellschaft, ist klar, dass sich das unter keinen Umständen wiederholen darf. Es war ein Beispiel dafür, wie Dinge nicht laufen sollen. In Zukunft würden wir nichts unterstützen, das wir nicht überprüfen können.